m – Magazin der Mediengewerkschaft comedia, 19/2003
«Über die Plakate der OSPAAAL zu schreiben, ist wie von einer alten Liebe
zu reden», so notiert Olivio Martínez, einer der vielen Gestalterinnnen und
Gestalter, die seit 1967 für die OSPAAAL, die Solidaritätsorganisation für
Afrika, Asien und Lateinamerika, Plakate geschaffen haben. Neben Alfredo
Rostgaard und Lázaro Abreu Padrón kommt Olivio Martínez im Buch Das
trikontinentale Solidaritätsplakat als einer der Protagonisten zu Wort, die
daran glauben, dass die visuelle Kommunikation – konkret: das Plakat – ein
effizientes Mittel der politischen Gegeninformation darstellt und einen
Beitrag zu einer gerechteren Gesellschaft liefern kann.
«Schafft 1, 2, 3 Vietnams!»
In den 1960er Jahren sah sich Kuba umgeben von Volkserhebungen und der
martialischen Antwort imperialistischer Mächte, vorab der USA, auf den
verstärkten Befreiungskampf in den Trikontstaaten. Diese Situation bildete den
Anstoss für die Gründung der Organizacion con los pueblos de Africa, Asia y
America Latina (OSPAAAL) als NGO. Im Januar 1966 fand in Havanna die erste
trikontinentale Konferenz statt. Ches Ausspruch «Schafft 1, 2, 3 Vietnams» wurde
zur moralischen Verpflichtung für Kuba. So schreibt Richard Frick: «Einer der
vitalsten Werte des revolutionären Kubas ist sein Internationalismus». Es gehört
zum Selbstverständnis Kubas, den internationalen Befreiungskampf zu
unterstützen, einerseits durch gezielte Information und Propaganda, andererseits
im praktischen Engagement. Fachkräfte reisten in die betroffenen Länder, um
tatkräftig mitzuwirken, umgekehrt kamen junge Menschen nach Kuba, um eine
fundierte Ausbildung absolvieren zu können.
Information und Propaganda
Mit der Tricontinental, einer ab 1967 in einer 50 000 starken Auflage
erscheinenden, viersprachig aufgelegten Zeitschrift, schuf sich die OSPAAAL ihr
Organ, um effizient Gegeninformation über die internationalen Geschehnissen zu
verbreiten. Der Zeitschrift wurden Plakate beigelegt, die in gewissen Zeiten
ebenfalls einen viersprachigen Text trugen – englisch, französisch, arabisch und
spanisch – und später, im Verzicht auf arabisch, noch dreisprachig erschienen.
Während die Zeitschrift die komplexen sozio-politischen Zusammenhänge der
Befreiungskämpfe vermittelte, leisteten die Plakate visuelle Bewusstseinsarbeit
und riefen bildlich zur Solidarität mit den unterdrückten Völkern auf. Die
OSPAAAL-Plakate wurden breit gestreut, sie hingen in Fabriken, Betrieben und
Schulen, in den Strassen und auch im privaten Raum und erfüllten damit die
ursprüngliche Funktion des Massenmediums. Die Wirkungskraft der kombinierten
Aufklärung durch Information und Propaganda ist nachweisbar. Die kubanische
Bevölkerung verfügte bald über ein vertieftes Wissen der internationalen
Ereignisse, stets aus der Perspektive der Unterdrückten heraus. Der kubanische
Kunsthistoriker Jorge R. Bermúdez und auch Mirta Muñiz, Journalistin und
ehemalige Direktorin der Tricontinental, weisen in ihrem Beitrag für das Buch Das
trikontinentale Solidaritätsplakat explizit darauf hin, dass sie durch die Arbeit der
OSPAAAL zum Internationalismus fanden. Auch in den Ländern, für die die
Plakate ihre Solidarität bekundeten, erzielten die Plakate hohe Aufmerksamkeit.
Eindeutigster Beweis aber für die Effizienz des Massenmediums ist wohl die
Tatsache, dass OSPAAAL-Plakate von gegnerischen Organisationen auch
gefälscht wurden, um die OSPAAAL zu diskreditieren und des Widerspruchs zu
bezichtigen.
Fokussierende Geschichtsschreibung und -bebilderung für die
Unterdrückten
Das Buch Das trikontinentale Solidariätsplakat wiederholt den Ansatz der
Verknüpfung von Information und Propaganda der OSPAAAL in komprimierter
Form. Besonderes Verdienst dieses opulenten, grosszügig gestalteten Buches ist
es daher auch, verschiedene «Lesarten» anzubieten. In erster Linie ist es ein reich
bebildertes Geschichtsbuch, das sich ausschliesslich der in der offiziellen
Geschichtsschreibung und den westlichen Medienberichten gerne vergessenen
Historie der bewaffneten Befreiungskämpfe widmet. Die sozio-politischen
Hintergründe der Volkserhebungen werden in detaillierten Textbeiträgen von René
Lechleiter in Erinnerung gerufen – und damit auch an ihre Aktualität gemahnt. Es
entspricht dem bewusst gewählten Ansatz des Herausgebers Richard Frick, einen
fokussierenden Blick auf jene Ereignisse zu werfen, die in aller Regel nur aus der
Optik der imperialistischen Machtpolitik das Medieninteresse finden.
Eine zweiter Zugang ergibt sich, wenn zunächst nur die visuelle Botschaft der
Plakate gelesen wird. Die OSPAAAL-Plakate werden Lechleiters Texten parallel
zur Seite gestellt, ihre politische Zweckbestimmung damit hervorgehoben. Dies gilt
es zu betonen, wurde doch das kubanische Plakat, heute im Westen begehrtes
Sammelobjekt, bereits international in Ausstellungen und Publikationen gewürdigt,
dabei aber meistens auf formale Aspekte reduziert, in einen rein ästhetischen
Diskurs eingebunden und als Teil der internationalen Plakatgeschichte versorgt.
Diese neue Publikation widersetzt sich durch ihre Anlage diesem Konzept und
unterläuft damit auch jede Absicht, politische Gegeninformation durch
Vereinnahmung und Vernachlässigung des Kontexts unschädlich zu machen.
Ebenso wenig aber negiert Richard Fricks Buch Das trikontinentale
Solidaritätsplakat die visuelle Qualität und das kreatives Potential der
OSPAAAL-Plakate, indem diese beispielsweise nur als Kleinbild-Illustration zum
Text in das Buch eingebunden werden. Die Plakate werden vielmehr in bester
Druckqualität mit frequenzmoduliertem Raster auf Spezialpapier grossformatig
reproduziert. Diese Sorgfalt den Plakaten gegenüber ist die schönste
Anerkennung für die Arbeiten und ihren Eigenwert. Auf jede Wertung der ganz
unterschiedlichen ästhetischen Ansätze wird verzichtet, die Anordnung der
Abbildungen folgt ganz der inhaltlichen Thematik.
Eine neue visuelle Sprache
«Wir wollten eine klare Kommunikation aufbauen, direkt oder indirekt, aber
originell und wir verschmähten keinen Einfluss, der uns erlaubte, effektiv und
zeitgenössisch zu sein», schreibt Alfredo Rostgaard in Das trikontinentale
Solidaritätsplakat. Er erfasst damit präzise die Qualität des kubanischen Plakats
seit 1959. Bis zur Revolution besass Kuba keine eigene Plakattradition. Gerade
diese Tatsache stellte eine Chance für das revolutionäre Kuba dar. Das Plakat
wurde als Massenmedium im Sinne eines Mittels im Emanzipierungsprozess des
Volkes neu entdeckt. Die meisten Plakatgestalterinnen und –gestalter verfügten
über eine kunstakademische Ausbildung und erkannten in der Plakatgestaltung
eine im Vergleich mit der Staffeleimalerei ideale Möglichkeit, um direkt an der
revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft teil zu haben und die Spannung
zwischen Ästhetik und Utilitarismus zu überwinden. Fidel Castros liberale
Kulturpolitik – absolute Freiheit der Kunst im Rahmen der Revolution – und hitzig
geführte Diskussionen über Form und Inhalt prägten das Klima der Zeit. Che
Guevara bezog sowohl gegen bürgerliche Strömungen in der Kunst als auch
gegen den sozialistischen Realismus dezidiert Stellung. Auch der folkloristische,
von Personenkult durchdrungene Stil des chinesischen Plakats wurde abgelehnt.
Die Unbefangenheit, mit der sich im kubanischen Plakat internationale Einflüsse
der zeitgenössischen Avantgarde mit der eigenen Kulturtradition des Landes
mischen, macht die Originalität des kubanischen Plakats aus. Im trikontinentalen
Solidaritätsplakat werden auch Bildelemente jener Volkskulturen integriert, für die
die Plakate ihre Solidarität bekunden. Kennzeichnend für das nachrevolutionäre
kubanische Plakat ist mithin ein Stilpluralismus, der sich der je unterschiedliche
Aneignung dieser Einwirkungen und der individuellen künstlerischen Prägung
verdankt. Der weitgehende Verzicht auf typografische Elemente zugunsten
erhöhter Verständlichkeit auch für die analphabetische Bevölkerung ist
charakteristisch für die OSPAAAL-Plakate. Durch bildliche Verknappung,
symbolische Prägnanz, humorvolle Metaphorik und poetische Űberhöhung
eröffneten sie der visuellen Kommunikation als effizientes Mittel der Politik neue
Wege.
Einheit von Inhalt und Form
Dugald Stermer würdigte das kubanische Plakat bereits 1970 mit einer
grossformatigen Publikation. Die spätere Entwicklung des OSPAAAL-Plakats und
seine Kontinuität konnte damals natürlich noch nicht erfasst, höchstens
prophetisch vorausgeahnt werden. Auch die comedia-Gewerkschaft wies in einem
frühen Beitrag von Hans-Rudolf Lutz 1972 in den Typografischen Monatsblättern
auf die Charakteristika des kubanischen Plakatschaffens hin. 1997 erschien in
Italien erstmals eine umfassende Ausgabe zum OSPAAAL-Plakat, allerdings
schlecht recherchiert und in schlechter Druckqualität.
Die Einheit von Inhalt und Form, die sich in den OSPAAAL-Plakaten ausdrückt,
zeichnet auch diese neueste Publikation zum OSPAAAL-Plakat aus. Richard Frick
schliesst damit verschiedene Lücken. Es ist die vollständigste Publikation zum
OSPAAAL-Plakat, die mit 340 Arbeiten alle bekannten Plakate erfasst. Zudem
wurden durch den aktiven Einbezug von Gestalterinnen und Gestaltern im
Produktionsprozess viele Falschzuschreibungen anderer Publikationen korrigiert.
Ebenso wie die Tricontinental ist das Buch viersprachig, wobei dem Text in jeder
Sprache eine andere Farbe zugeordnet wurde. In der grosszügigen
Buchgestaltung durch Richard Frick werden die verschiedenen Buchelemente –
mehrsprachige Texte, verschiedene Textsorten, Einleitungsteil und historischer
Teil, Plakatabbildungen und umfangreicher Anhang – souverän und übersichtlich
verknüpft. Randabfallende Ausschnitte von Plakaten funktionieren im ersten
Buchteil als zusätzliche Orientierungshilfen. Neben den drei Plakatgestaltern
Alfredo Rostgaard, Lázaro Abreu Padrón und Olivio Martínez äussern sich im
ersten Teil auch weitere Kubanerinnen und Kubaner, die mit der Arbeit der
OSPAAAL vertraut sind, zur OSPAAAL und der visuellen Kraft des trikontinentalen
Plakats. Der zweite Teil des Buches gehört ganz den OSPAAAL-Plakaten, deren
Botschaft durch Lechleiters Texte neue Aktualität gewinnt. Als Einstieg in jedes
der drei Kapitel Afrika, Asien und Lateinamerika wurden geografische Karten
gewählt, auf denen die Schauplätze der Kämpfe farbig markiert sind.
Im informativen Anhang sind Plakate der OLAS abgebildet, einer parallel
gegründeten Solidaritätsorganisation, die nur kurz existierte, sowie gefälschte
OSPAAAL-Plakaten befreundeter und gegnerischer Organisationen aufgeführt.
Alle 340 bis heute bekannten OSPAAAL-Plakate sind en miniature nochmals
chronologisch dokumentiert. Eine Liste der Gestalterinnen und Gestalter des
trikontinentalen Solidaritätsplakat, eine Auflistung der Solidaritätstage und
Biografien zu den Autoren runden die Publikation ab. 200 Vorzugsausgaben
enthalten je ein Plakat von Olivio Martínez und Alfredo Rostgaard, das eigens für
das Buch hergestellt wurde.
Richard Frick und René Lechleiter, Herausgeber/Gestalter und Hauptautor des
Buches, sind für diese ungewöhnliche Publikation prädestiniert, haben sie doch
beide sowohl ein Standbein in der Gestaltung als auch in der aktiven politischen
Solidaritätsarbeit: Ein informatives Nachschlagewerk zur gerne vergessenen,
hochaktuellen Geschichte der Befreiungskämpfe, das auch sinnlichen Genuss
bereitet.
Bettina Richter